Holzteil von Neudingen/Baar

((Donaueschingen-)Neudingen I)

Sigle SG-85
Fundort Neudingen/Baar (Donaueschingen, Schwarzwald-Baar, Baden-Württemberg, D) Ort auf Karte
Transliteration
lbi ˈ imuba ˈ hamale ˈ bliþguþ ˈ uraitruna |
Übersetzung Flaggen Icon … Imba … Blīþgunþ schrieb die Runen.
Übersetzung Flaggen Icon … Imba … Blīþgunþ wrote the runes.
Inschrift Icon für Quellen der Editionsinformation Von geübter, sicherer Hand sind 30 rechtsläufige Runen in das Holz geschnitten.

Icon für Quellen der Editionsinformation Funktion / Interpretation:
Zunächst ist der Holzstab von Neudingen als zum Webstuhl gehörende Strebe angesprochen worden (Fingerlin 1981, 188; Opitz 1981, 29; 1982, 486; Scardigli 1986, 354; so auch Brendle 2005, 154. 162). Fingerlin hat später konstatiert, dass auch eine Funktion als Kunkel denkbar ist (RGA 21, 110); diese Interpretation wurde von runologischer Seite übernommen (Düwel / Pieper 2004, 249; RGA 25, 500. 544. 578). Zuletzt hat Brendle (2014/I, 962) das Objekt unter Hinweis auf Vergleichsstücke aus zwei Gräbern von Leihgestern (Oberhessen) als „Spinnrocken (Kunkel) oder Flachsstock“ bestimmt. Als Kunkel oder Rocken (auch Wocken) bezeichnet man einen Stab, an dem beim Spinnen das noch unversponnene Spinngut (Flachs, Wolle, Hanf) als Knäuel befestigt ist. Von diesem Knäuel werden mit den Fingern einige Fasern abgezupft und zu einem Faden gedrillt, an dem die Spindel befestigt wird (zur Handspinnerei und der Funktion des Rockens: Bohnsack 1981, 34; RGA 29, 369 ff.; vgl. Müller M. 2003, 23 ff.). Diese Verwendung des Rockens beim Spinnen mit der Handspindel wird in zahlreichen Bilddarstellungen aus der Antike sowie aus dem Früh-, Hoch- und Spätmittelalter anschaulich vorgeführt. Der Spinnrocken wird dabei entweder (meist sitzend) in der Hand gehalten, unter den Arm bzw. zwischen die Beine geklemmt, in den Gürtel gesteckt oder auf einer Unterlage fixiert (Saurma-Jeltsch 2002, Abb. 11–13; Bohnsack 1981, Abb. 15–17). Ob der Zapfen am dickeren Ende des Neudinger Stabes der Fixierung auf einer Unterlage oder etwa am Gürtel bzw. der Befestigung des Spinnmaterials gedient hat, ist noch zu überprüfen. Sowohl in der christlichen Ikonographie und Exegese („Eva als Spinnerin“ bzw. „Maria als Spinnerin“; s. unten, 4 [Anhang] als auch in der Götter- und Heldensage s. bspw. Enright 1990; Eshleman 2000; RGA 21, 391 s.v. Nornen mit Lit.) sowie im Märchen und Volksglauben hat das Spinnen eine symbolische Bedeutung, wobei dem Spinnrocken bisweilen eine besondere Stellung zukommt (HdA VIII, 263 f.; EM XII, 1057 ff.; Volkmann 2008). Zum Stellenwert der Kunkel im Alltagsleben können zeitgenössische Texte angeführt werden. So heißt es in einem Brief des Hl. Bonifatius (ep. X, Ausg., 38 f.; vgl. Müller M. 2003, 233 Anm. 214): Quae vidit iuxta se iacentem alterius novam colum sculptura variatam; et pulchra ei visa fuit, et furata est illam. ‘Diese [ein Mädchen] erblickte neben sich einen neuen mit Schnitzwerk verzierten Spinnrocken [eines anderen Mädchens] und weil er ihr schön erschien, stahl sie ihn’. In der Lex Ribuaria (tit. 61,18; Ausg., 113) wird bestimmt, dass eine freie Frau, die sich mit einem servus eingelassen hat, vor dem Königsgericht zwischen spada (Var. spata ‘Schwert’, i.e. Tötung des Sklaven) und cunucula (Var. con° ‘Kunkel’, i.e. Anerkennung der Beziehung und Herabsinken der Frau auf den Sklavenstatus) entscheiden musste (vgl. RGA 24, 165 mit Lit.). Die Lex Ribuaria wird in die Regierungszeit Dagoberts I. datiert (623–638/39), der Passus über spata und cunucula könnte einen karolingerzeitlichen Einschub darstellen (ebd.; RGA 18, 320 ff.). Die bisweilen sehr prachtvollen Rocken, die gelegentlich in spätrömischen Gräbern als Beigaben auftreten, sind als Statussymbole, Symbole des Parzenkultes oder Zeichen des weiblichen Haushaltsvorstands interpretiert worden (Gottschalk 1996 mit Lit.). (mehr)

Runenreihe älteres fuþark
Inschrift­charakter run.
Zustand beeinträchtigt; gut
Vollständig? ja

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Der Textsorte nach handelt es sich im ersten Teil der Runen von NEUDINGEN I um eine Wunschinschrift (vgl. Einleitung, E, CXXV f.), die eine Frau – Imuba, wahrscheinlich die im Grab Bestattete – von einer anderen Frau namens Blithgunth in einen Holzstab eintragen ließ. Der ausgesprochene Wunsch nach Liebe, Freude oder Zuneigung galt einem Mann namens Hamal, wobei gefragt werden kann, ob der besonderen Hervorhebung des Namens (s. 3.1) und auch der leicht verschlüsselnd wirkenden verkürzten Schreibung lbi für liubī eine magische Absicht unterlegt ist. In welcher näheren Beziehung die genannten Personen Imuba und Hamal gestanden haben, ist der Inschrift nicht zu entnehmen. Der zweite Teil bietet eine scripsit-Formel, in der eine Frau namens Blithgunth als Runenritzerin entgegentritt (vgl. vorhin, 3.2). (mehr)

Kein Bild vorhanden

Aufbewahrungsort

Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Konstanz, D)
Inventarnummer: 1979-23-168-16
Findno.: 208
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